- 09. Januar 2025
- Sicherheit & Praxis
- Peter Thomas
Alarm bei Eis und Schnee: Winterdienst in Wiesbaden
Vom Rheinufer bis hinauf in den Taunus, von der Citylage bis zu ländlichen Stadtteilen: Die hessische Landeshauptstadt hat eine sehr vielfältige Topografie. Ein Blick auf dieses Beispiel für anspruchsvollen Winterdienst bei Glätte und Schnee.
Mitten in der Nacht, das Thermometer zeigt drei Striche unter dem Gefrierpunkt. Bleischwer liegt die Dunkelheit über dem Land, durchtanzt von den ersten Schneeflocken des Jahres. Keine schöne Zeit, um auf der Straße unterwegs zu sein. Doch auf dem Betriebshof der Entsorgungsbetriebe der Landeshauptstadt Wiesbaden – kurz ELW – herrscht Hochbetrieb. Die Organisation ist für den Winterdienst in der Großstadt an Rhein und Main zuständig. Tagsüber haben die schweren, orangefarbenen Lastwagen noch wie schlafende Riesen in der großen Fahrzeughalle geparkt. Jetzt rücken sie aus im zuckenden Gelb ihrer Rundumkennleuchten und gehen auf präzise festgelegte Touren. Die Mission: Gefährliche Glätte reduzieren, wenn Feuchtigkeit und Minustemperaturen zusammentreffen.
Knapp 300.000 Einwohner, gut 20.350 Hektar Stadtgebiet und 467 Kilometer Hauptverkehrswege: Das umreißt bereits die Herausforderung für den Winterdienst. Hinzu kommt die Topografie. Denn neben der Innenstadt und den dicht bebauten Vierteln auf Höhe des Rheins gibt es auch die ländlichen Stadtteile am Taunushang.
„Geräumt wird, bis der letzte Linienbus gefahren ist“
Die wichtigen Straßen sollen zwischen 7 und 22 Uhr so gut wie möglich gestreut und geräumt sein. In der Praxis gilt jedoch die Maxime: „Vor dem Berufsverkehr sollen die Straßen befahrbar sein. Und geräumt wird, bis der letzte Linienbus gefahren ist.“ Heißt für die Einsatzkräfte der ELW: Ihr Alarm wird schon in der Nacht ausgelöst, und die zweite Schicht fährt bis spät in den Abend hinein. Wobei es zum Glück selten ein echter Alarm ist, wenn Eis und Schnee den Straßenverkehr beeinträchtigen. Denn dank verlässlicher Wetterprognosen lassen sich viele Einsätze und damit die Dienstpläne bereits vorausplanen. Elf schwere Streufahrzeuge und neun kleinere rücken in Wiesbaden als erstes aus und kümmern sich zunächst um die wichtigsten Hauptstraßen. Danach sind wegen der beschriebenen Lage zwischen Fluss und Mittelgebirge 18 sogenannte Steilstrecken an der Reihe. Aber auch Fußgängerzonen, zentrale Bushaltestellen und ein Teil des Radwegenetzes werden geräumt – ebenso wie außerhalb liegender Vororte.
Knapp 170 der rund 900 ELW-Mitarbeiter sind im Winterdienst eingebunden. Auf meteorologische Vorhersagen und auf Messergebnisse fest installierter Sensorik verlassen sich auch die Winterdienste der übergeordneten Infrastrukturen, bis hin zum mehr als 13.000 Kilometer langen Netz der deutschen Bundesautobahnen.
Mit Mechanik und Salz gegen Schnee und Eis
Bei Schneefall kommen die schweren Schilde und die Rotationsbürsten an der Front zum Einsatz – für das mechanische Räumen. Gegen Glätte durch gefrierende Nässe hingegen hilft Salz. Das chemische Auftaumittel wird grundsätzlich gestreut – auch nach einem Räumeinsatz. Die entsprechende Technik wurde vor rund 90 Jahren erfunden und seither immer wieder verbessert. Heute passen die Streuteller ihren Auswurf der Fahrgeschwindigkeit, der Straßenbreite und dem Fahrbahnzustand an. Außerdem wird kein reines Salzgranulat mehr ausgebracht, sondern fast ausschließlich Feuchtsalz – eine Mischung als Salz und Sole.
Salzvorräte für Extremwinter
Für den Winterdienst wird in Deutschland vor allem Natriumchlorid verwendet – das auch im Haushalt übliche Kochsalz. Dazu kommen Calcium-, Magnesium- und Kaliumchlorid. Auf diese Mittel greift man auch in Wiesbaden zurück: Sole mischt die ELW aus Magnesiumchlorid, die fertige Flüssigkeit wird in großen Tanks vorgehalten. Als Granulat kommt Natriumchlorid zum Einsatz. Es lagert als Halde in einem hölzernen Vorratsgebäude, Radlader füllen es in die Lastwagen. Am reichlichen Vorrat soll der Winterdienst nicht scheitern: Rund 4.500 Tonnen Salz hat Wiesbaden bis Saisonbeginn Anfang November gebunkert. Nach langjähriger Erfahrung werden nur durchschnittlich 500 bis 2.500 Tonnen pro Winter benötigt.
Alle Salze bilden eine Lösung mit dem Eis oder Wasser auf der Straße und reduzieren dessen Gefrierpunkt. Das kann die gefährliche Glätte verringern oder ihr vorbeugen. Diese präventive Behandlung von Straßen ist besonders effizient – auch was den Salzverbrauch angeht. Denn im besten Fall kommt man hier mit fünf Gramm Salz auf einen Quadratmeter aus, das entspricht in etwa der Menge von Haushaltssalz, die in einen Teelöffel passt.
So kann jeder zur Verkehrssicherheit im Winter beitragen
Was Autofahrer und andere Verkehrsteilnehmer dazu beitragen können, dass der Winterdienst erfolgreich läuft? Die GTÜ Gesellschaft für Technische Überwachung mbH mahnt insbesondere zu besonders vorausschauendem Fahren bei winterlichen Straßenverhältnissen. Denn Bremswege sind deutlich länger, und es besteht Schleudergefahr. Unbedingt soll außerdem die Winterreifenpflicht eingehalten werden. Schließlich gilt: Rücksicht nehmen auf Streu- und Räumfahrzeuge, den Experten gegen Glätte Vorfahrt gewähren und Abstand halten. Denn wer den Straßendiensten die Arbeit erleichtert, der trägt für alle zu Verkehrssicherheit im Winter bei.
Feuchtsalz und Sole
Unter den Begriff Feuchtsalz fallen verschiedene Streumittel. Das Kürzel FS 30 beispielsweise bezeichnet eine Mischung aus 70 Prozent Salzgranulat und 30 Prozent Sole. Beide Bestandteile werden auf dem Fahrzeug in getrennten Tanks mitgeführt und erst kurz vor dem Ausbringen gemischt. Als Goldstandard zur Glätteprävention gilt in Deutschland das Ausbringen von FS 100. Damit wird reine Sole bezeichnet. Sie haftet besonders gut auf der Straße und wird durch Luftbewegungen kaum verweht. Für Autobahnen sind innovative Winterdienstfahrzeuge in Erprobung, die ausschließlich Sole sprühen. Ein Prototyp besteht aus einer batterieelektrischen Sattelzugmaschine mit Tankauflieger samt Sprühanlage.