Wenn die Assistenten plötzlich Chef sind

Eine Kolumne zur Systemfrage im Auto.

Es klingelt. Es bimmelt. Es blinkt. Und es macht was mit Dir. Immer wieder, meist ganz plötzlich. Voll nervig findet das seine Schwester, sagt vom Beifahrersitz aus: „Mach‘ das mal weg.“ Trebor aus Hamburg müsste schon von Berufswegen ein gutes Verhältnis zu den unzähligen Assistenzsystemen haben, er ist Elektroingenieur. Doch das, was die geheimen Kräfte mit ihm und seinem Auto machen, was da alles angezeigt wird oder aktiviert werden soll, das wird ihm langsam zu viel. Er fragt sich: sollte Autofahren nicht vor allem auch Spaß machen?

Die Black box bekommt alles mit

Sollte es. Aber es soll auch sicher sein. Deshalb hat der Gesetzgeber verfügt, dass vom 1. Juli an alle Neuwagen zwingend mit System wie Notbremsassistenten, Müdigkeitswarner oder Spurhalteassistenten ausgerüstet sein müssen, überwacht von einem Datenschreiber wie im Flugzeug, der black box. Und viele Menschen fragen sich: sind die Assistenten nicht längst schon von nützlichen Gehilfen zu unseren Meistern aufgestiegen?

Vergleichsfahrt mit den Affen

Die Frage ist nicht neu, sie wurde auch schon in der Formel 1 diskutiert, wo bekanntlich die schnellsten Rennfahrer der Welt unterwegs sind. Als dort Startautomatiken und Traktionskontrollen überhandzunehmen drohten, reklamierte Weltmeister Niki Lauda: „Irgendwann kannst Du auch einen Affen ins Cockpit setzen.“ Wer aber mal zuguckt, was die Piloten dort an Schwerstarbeit leisten, weil sie während ihres rasenden Tuns die Bremsbalance verstellen, Motoreinstellungen korrigieren und noch Funkkontakt zur Box halten, der erkennt: Affen wären überfordert. Geschweige denn herkömmliche Autofahrer, von denen viele schon Schwierigkeiten haben, im Stadtverkehr zeitig den Blinker zu setzen.

Alles hat gute Gründe

Ein doppeltes und dreifaches Sicherheitsnetz einzuziehen ist also eine gute Sache, und ohne einen gesunden Glauben an die Technik würde unser ganzes Leben nicht mehr so komfortabel und in Bahnen ablaufen. Aber Autofahren ist eine aktive Entscheidung, und das Lenkrad das beste Symbol dafür. Die moderne Vokabel „selbstbestimmt“ muss auch hier greifen. Allein, der künstliche Vogelschwarm der Piepgeräusche zeugt von etwas anderem. Ins Leben gerufen auch deshalb, weil sich im letzten Jahr allein in Deutschland 2,5 Millionen Unfälle ereignet haben, bei denen bis zu 95 Prozent auf menschliches Versagen zurückgehen.

Manchem wird’s zu viel

Trebor, der Elektrotechniker, sonst eher zurückhaltend, hat die Systemfrage für sich entschieden – alle potenziellen Neuwagen können ihm schlicht zu viel, er will noch ein Weilchen seinem Audi, Baujahr 2009, treu bleiben. Wolfgang, der vielreisende Fotograf, hat von seinem Mercedes-Händler eine Limousine mit allem Schnickschnack bekommen, und sie nach dem ersten Wochenende freundlich, aber bestimmt zurückgegeben: „Jedes Mal, wenn ich auf einer Bergstraße den Mittelstreifen touchiere, zerreißt es mir fast das Auto.“ Zu den Genervten zählt auch Albrecht, ein Freund des Kolumnisten. Aber sein neuer Kombi hat alles drin. Denn der Fahrer geht wirklich auf Nummer sicher, denn sein Arbeitgeber hat ihm verraten: Wer einen Dienstwagen fährt ohne die vorgeschriebenen Systeme, der ist nicht versichert.

Wer behält den Überblick?

Wer gern in Fahrzeugkatalogen blättert, der erkennt eine ähnliche Reizüberflutung wie im Baumarkt oder den Filialen der Kaffeehersteller, die scheinbar jeden Tag ein neues Gadget (er)finden und auf den Markt bringen. Immerhin, manchmal lässt sich für den Autofahrer der ewige Traum des Menschen, sich die Maschinen untertan zu machen, doch ganz leicht verwirklichen: ein Blick in die Bedienungsanleitung zeigt, was sich manuell abschalten lässt. Der Tastendruck ist allerdings nur für jene gedacht, die es sich wirklich zutrauen.

Mitdenken bleibt Pflicht

Grundsätzlich gefährlich werden kann es aber auch, wenn die Vielzahl der Assistenten die Autofahrer zu einer gewissen Achtlosigkeit erzieht. Deshalb sich besser nie sich allein auf die Rückfahrkamera, den Abstandsregler oder die Tempoanzeige verlassen. Mitdenken ist im Übrigen keine neue Vorschrift. 

Unfall mit dem Auto: Und nun? Was tun!

Nicht zu helfen, ist die schlechteste Form der Hilfe.

Schon wer einen Verkehrsunfall beobachtet oder miterlebt, bekommt zunächst einen gehörigen Schreck. Danach aber ist entscheidend, dass das einsetzt, auf das Versicherer, Autoclubs, Hilfsdienste und auch die Gesellschaft für Technische Überwachung (GTÜ) in solchen Situationen verweisen: Die Rettungskette.

Zuerst sich selbst absichern

Ganz wie in Flugzeug, wo erst die Erwachsenen die Sauerstoffmasken über Mund und Nase ziehen sollen, um dann erst Kindern und Älteren zu helfen, gilt auch nach einem Verkehrsunfall zunächst die Selbsthilfe. Wer als Ersthelfer an einem Unglücksort eintrifft, sollte zunächst sich und andere Verkehrsteilnehmer vor weiteren Schäden schützen – selbst wenn man als Ersthelfer automatisch unfallversichert ist.

Immer der Rettungskette entlang

Sind Autos in das Geschehen involviert, beginnt die Rettungskette damit, dass die Warnblinkanlagen eingeschaltet und von den Helfern Warnwesten übergezogen werden. Am besten gleich das Smartphone, Warndreiecke und Verbandskasten greifen. Parallel zum Versuch, sich einen Überblick über die Gefahrenlage zu verschaffen, muss die Unfallstelle abgesichert werden.

Die wichtigste Nummer ist die 112

Je früher ein Notruf abgesetzt wird, je besser – das kann Leben retten. Dazu wird die europaweite Notrufnummer 112 gewählt. Die wichtigsten Fragen und Hinweise, die es zu beachten gilt: Was ist passiert? Wo hat sich der Unfall ereignet? Wie viele Menschen sind verletzt? Ist die Art und Schwere der Verletzungen erkennbar? Möglichst Ruhe bewahren, und die Rückfragen der Rettungsstelle abwarten.

Keiner kann sich leisten, nicht zu helfen

Nach dem der Notruf abgesetzt und die Unfallstelle abgesichert ist, kann Personen aus dem Gefahrenbereich geholfen werden. Sind Verletzungen bei Unfallopfern erkennbar, müssen „Erste Hilfe“-Maßnahmen geleistet werden. Behandeln Sie Unfallopfer vorsichtig, nicht immer ist die Art oder Schwere der Verletzung gleich erkennbar. Als Ersthelfer ist man zur Hilfe verpflichtet, das Schlimmste wäre es, nichts zu tun. Wer bei Unglücksfällen nicht hilft, obwohl das zuzumuten gewesen wäre, kann wegen unterlassener Hilfeleistung angeklagt und mit Geld- und Freiheitsstrafen belegt werden. Man muss sich dabei, beispielweise wenn Autos brennen, aber nicht selbst in Gefahr bringen.

Wissen Sie noch, wie Erste Hilfe geht?

Ein paar Basics zur Ersten Hilfe: Bewusstsein der Person prüfen! Reagiert das Opfer nicht auf das Ansprechen oder ein Rütteln an der Schulter – Atmung prüfen! Hebt und senkt sich der Brustkorb normal, obwohl die Person bewusstlos ist, muss sie in eine stabile Seitenlage gebracht werden. Lässt sich keine Atmung feststellen, beginnt die Wiederbelebung mit Herzmassagen. Das hat jeder, der einen Führerschein gemacht hat, im Erste-Hilfe-Kurs gelernt. Bei wem die Fahrschule schon etwas länger her ist, der sollte sein Wissen auffrischen – das kann lebensrettend sein.

Links, die Leben retten können

Das Deutsche Rote Kreuz hat zudem die wichtigsten Sofortmaßnahmen zur Rettung aus der Gefahrenzone übersichtlich hier aufgelistet: https://www.drk.de/hilfe-in-deutschland/erste-hilfe/verkehrsunfall/retten-aus-gefahrenzone-erste-hilfe/

Vom ADAC gibt es eine Liste mit den Grundbegriffen der Ersten Hilfe, so kann auch als PDF heruntergeladen werden:

https://www.adac.de/gesundheit/gesund-unterwegs/vorsorge/erste-hilfe-massnahmen/

Brennpunkt Bürgersteig

Über das Mit- und Gegeneinander im Verkehr

Die „Zeit“ ist eine Wochenzeitung, die viel Verständnis für ihre Leser und die Menschen überhaupt hat. Was Autos und Verkehr angeht, ist die Haltung eine eher kritische. So konnte die Überschrift „Ich konnte das Chaos kaum fassen“ kaum überraschen. Ein Angestellter der dänischen Botschaft berichtete über seinen Alltag als Fahrradfahrer in Deutschland. Fazit: „Würden wir in meiner Heimatstadt Kopenhagen so Radfahren wie in meiner Wahlheimat Berlin, wären wir schnell ein ganzes Stück ärmer.“ Unvorstellbar für unsere nördlichen Nachbarn, sich auf dem Gehweg nicht regelkonform zu verhalten, auch weil ein paar Meter Radeln dort gleich 100 Euro Strafe kosten.

Wo der Egoismus beginnt

Der Däne hat richtig erkannt, wo sich auf unseren Straßen ein neuer Brennpunkt fernab aller Stauprobleme entwickelt hat: auf und neben dem Bürgersteig. Vom Prinzip her eine geschützte Zone. Wenn dort nicht Menschen ihrer Gedankenlosigkeit anderen Menschen das Leben schwer machen würden: Der parkende Autofahrer, der Rad- und Gehweg für seine schnelle Besorgung blockiert. Rücksichtslose E-Scooter-Fahrer, die ihre Gefährte einfach fallen lassen, gern auch quer. Rücksichtslose Lastrad-Piloten, die sich noch schnell an gemächlich laufenden Mitbürgern vorbeidrängen – weil es ihnen auf der Straße zu gefährlich ist. Wer in einer x-beliebigen Stadt ein Viertelstündchen das egoistische Geschehen beobachtet, kommt zu einem ähnlichen Schluss wie der „Zeit“-Autor: Wir stehen uns gegenseitig im Weg, und das im Wortsinn.

Fußgänger werden zu Opfern

Wer auf zwei Beinen unterwegs ist, der bewegt sich an einem gefährlichen Ort, wie die Statistiken zeigen. Von Januar bis November 2023 sind gegenüber dem Vorjahreszeitraum 12,3 Prozent mehr zu Fuß gehende ums Leben gekommen – das sind 40 Menschenleben mehr. Natürlich ist es oft zu eng in den Städten, häufig kollidiert die aus dem letzten Jahrtausend stammende Verkehrsplanung mit den heutigen Interessen. Das gilt gleichermaßen für Straße, Radweg und Bürgersteig. Allerdings liegt es häufig auch am eigenen Verhalten im Verkehr. Das kann nur einer steuern – jeder selbst. Denn Regeln für den Verkehr sind keine Schikanen, sondern sorgen für Sicherheit und verhindern das Chaos. Eine Straße ist ja kein Schwimmbad, wo sich (fast) alles in Bahnen lenken lässt.

Vernunft ist eine Frage der Perspektive

Kann der Straßenverkehr besser sein als die Gesellschaft? Vermutlich nicht. Das auch in anderen Bereichen fehlende Miteinander im Umgang hat auf und neben der Straße direkte und manchmal größere Konsequenzen. Leuchtet auch den meisten ein. Nur ist es mit der Vernunft und der gegenseitigen Rücksichtnahme in der Realität aber so eine Sache. Manchmal ist die Perspektive entscheidend: Wer im Bus sitzt, verlangt vehement Vorrang für die Öffentlichen im Stadtverkehr. Wer im Auto hinter dem Bus fährt, der neidet den anderen die Busspur, weil sich der Individualverkehr staut. Mit Pedelec-Fahrern verhält es sich kaum anders: wer auf Lieferdienste schwört, will sein Essen vom elektrisierten Boten möglichst schnell und warm bekommen. Wer am Zebrastreifen wartend von den E-Bike-Kurieren fast umgefahren wird, würde motorisierte Fahrräder am liebsten aus der City verbannen. Wie können wir es nur schaffen, uns miteinander fortzubewegen?

Sind es immer nur die Anderen?

Sich im ohnehin hektischen Straßenverkehr mit all seinen Einflüssen und Gefahrquellen immer auf die reine Vernunft zu besinnen, dazu braucht es vermutlich jahrzehntelange Meditationserfahrung. Aber wer gerade diese Kolumne liest und noch ein paar Minuten Zeit hat, um zu reflektieren, für den ist die Übung einfacher: ruhig mal in den anderen reinversetzen, ehrlich zu sich selbst sein, und gern noch einmal im GTÜ-Blog den Beitrag von Peter Thomas „Probier’s mal mit Gelassenheit lesen. Der gilt nicht nur für vier, sondern auch für zwei Räder – und genauso für Zweibeiner.

Infobox

Die jüngsten Vergleichszahlen des Statistischen Bundesamtes (Destatis): Die Zahl der verunglückten Kinder im Straßenverkehr stieg von 26.080 im Jahr 2019 auf 26.958 im Jahr 2023 an. Die Zahl der Verletzten und Getöteten Menschen ab 65 Jahre wuchs von 22.428 im Jahr 2019 auf 24.619 vier Jahre später.  Hauptverursacher von Unfällen mit Fußgängern von 2013 bis 2022: Zu 75 Prozent Autofahrer, bei Unfällen mit Radfahrern waren es zu 74 Prozent Autofahrer.